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Rückblick re:publica 2025 Digitale Kipppunkte, politische Influencer und die Frage: Wem glauben wir noch?

  • monanikolic3
  • 30. Mai
  • 3 Min. Lesezeit

 re:publica 2025
re:publica 2025


Ein persönlicher Einblick in die drängenden Themen unserer digitalen Öffentlichkeit.


Die re:publica 2025 stand unter dem Motto „Generation XYZ“ – und selten passte ein Titel so gut. Denn was sich aktuell zwischen TikTok-Algorithmus, EU-Parlament, ChatGPT und KI-generierter Desinformation abspielt, betrifft alle Generationen. In vielen Vorträgen wurde deutlich: Wir erleben nicht nur technologische, sondern auch gesellschaftliche Kipppunkte. Und es stellt sich die Frage, ob unsere Demokratie mit der Geschwindigkeit und Wucht dieser Veränderungen Schritt halten kann – oder unter Druck gerät.

Hier unsere zentralen Beobachtungen und Impulse aus den gesehenen besonders eindrücklichen Sessions:

 

1. Influencer als politische Machtfaktor

Patrick Stegemann zeigte in seinem Vortrag „Share & Conquer“, wie Influencer*innen längst zu politischen Akteur*innen geworden sind. Sie gelten für viele als Freund*innen, genießen Vertrauen und prägen Meinungen – auch jenseits von klassischen Parteien. Beispielhaft dafür steht Fidias Panagiotou aus Zypern, der mithilfe seiner Community ins EU-Parlament einzog. Seine Fans stimmen über sein Abstimmungsverhalten ab – direkte Demokratie via Like-Button. Doch diese Nähe birgt auch Risiken: Es verschwimmen die Grenzen zwischen Sozialem, Ökonomie und Politik, Marketing, Meinung und Macht.

 

2. Desinformation: Emotional, schnell, generationsspezifisch

Ingrid Brodnig analysierte, wie Desinformation auf Plattformen wie Facebook und TikTok alters- und plattformspezifisch funktioniert. Ältere Menschen werden mit Bargeld-Mythen oder Kriegsangst konfrontiert, Jüngere mit bizarren Falschmeldungen wie dem „Straffreien Vergewaltigungstag“. Allen gemein: Sie zielen nicht auf Wahrheit, sondern auf Emotion. Und je stärker Wut oder Angst, desto weniger kritisch wird hinterfragt. Faktenchecks allein reichen nicht – was bleibt, ist ein gefühltes Wissen. Das Ergebnis: Misstrauen, Zynismus, gesellschaftliche Spaltung.

 

3. Verdrängung als Risiko für die Demokratie

Katharina Nocun hielt einen eindringlichen Vortrag über das, was wir lieber nicht sehen wollen – und sollten. Verdrängung ist ein psychologischer Schutzmechanismus, aber sie birgt Gefahr: Wenn autoritäre Sprache, rassistische Narrative oder Angriffe auf Institutionen nicht klar benannt werden, verschieben sich die roten Linien. Was gestern undenkbar war, wird heute gesagt – und morgen vielleicht getan. Nocun stellte drei unbequeme Fragen: Was tue ich, um mein demokratisches Selbstbild zu erhalten? Warum habe ich so lange geschwiegen? Und: Bin ich Teil des Problems?

 

4. Influencer, Emotion und die Macht parasozialer Beziehungen

In einem weiteren Vortrag wurde deutlich, dass der Einfluss von Influencer*innen nicht allein auf Content basiert – sondern auf Nähe. Durch parasoziale Beziehungen wirken sie wie Freund*innen, nicht wie Medienakteure. Ihre Aussagen werden nicht nur geglaubt – sie werden gefühlt. Besonders gefährlich wird das, wenn Meinung und Wissenschaft gleichgesetzt werden. Denn Reichweite ersetzt keine Evidenz. Authentizität ist Kapital – aber auch Einfallstor für Manipulation.

 

5. KI und digitaler Kolonialismus

Ein zentraler, oft übersehener Aspekt: Die globale Tech-Infrastruktur ist nicht neutral. KI-Modelle basieren auf Datenarbeit, die oft im Globalen Süden unter prekären Bedingungen stattfindet. Die Plattformen bestimmen die Regeln, Urheberrechte werden ignoriert – Abhängigkeiten entstehen. „Ausbeutung as a Service“ – ein treffender Begriff, der hängen bleibt.

 

6. KI in Wahlprozessen: Vertrauen in Zeiten von Deepfakes

Unter dem Titel „Vote, baby, vote“ diskutierten Katja Muñoz, Konstantin Kuhle und Rachel Baig die Rolle von KI in Wahlen. Klar wurde: KI ist kein Auslöser, sondern Beschleuniger. Sie macht Desinformation noch raffinierter – und Wahrheit schwerer erkennbar. Wenn Bürger*innen nicht mehr unterscheiden können, was echt ist, sinkt das Vertrauen in demokratische Prozesse. Umso wichtiger wird eine partizipative Demokratie, die Menschen ernst nimmt, beteiligt – und neue technische Wege dafür öffnet.

 

7. Aufmerksamkeit als politisches Gut

Philipp Lorenz-Spreen sprach über gesellschaftliche Kipppunkte im digitalen Zeitalter. Unsere kollektive Aufmerksamkeit hat sich messbar beschleunigt. Was polarisiert, wird belohnt. Was differenziert, geht unter. Algorithmen befeuern diese Entwicklung – zum Vorteil populistischer Kräfte. Lösungsansätze gibt es: Plattformen können prosozial gestaltet werden. Tools wie „One Sec“ helfen, innezuhalten. Und stille Stimmen sollten ermutigt werden, sich einzubringen. Denn: Aufmerksamkeit ist keine neutrale Währung – sie entscheidet mit über Machtverhältnisse.

 

8. Gemeinwohl und digitale Alternativen denken

Warum wird eine Plattform wie Mastodon – dezentral, nicht-kommerziell, werbefrei – nicht als gemeinnützig anerkannt? Die Frage wurde mehrfach gestellt. Projekte, die Demokratie und Vielfalt stärken, sollten nicht benachteiligt werden. Gerade im digitalen Raum braucht Gemeinwohl bessere rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen.

 

9. Social Media und Materialismus: Der Supermarkt des Selbst

Prof. Dr. Sabine Trepte beschrieb Social Media als „soziale Supermärkte“. Plattformen wie TikTok oder Instagram präsentieren nicht nur Inhalte – sie schaffen Konsumräume, die Identität formen. Studien zeigen: Intensive Nutzung geht mit höherem Materialismus und geringerem Wohlbefinden einher. Wer sich mit idealisierten Bildern vergleicht, fühlt oft ein Defizit – und versucht, es durch Besitz auszugleichen. Umso wichtiger ist es, Kinder und Jugendliche frühzeitig in ihrer Selbstwirksamkeit, Dankbarkeit und sozialen Kompetenz zu stärken.

 

Fazit

Die re:publica 2025 hat deutlich gemacht: Unsere digitale Gesellschaft steht vor großen Herausforderungen – aber auch vor Chancen. Wir müssen Plattformen neu denken, Bildung neu aufstellen und Medienkritik ernst nehmen.

Denn ob TikTok oder Tagesschau – entscheidend ist nicht nur, was wir sehen. Sondern wie, warum und wem wir glauben.

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